gegen a) | den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juni 2010 - 3 Ws 540/10 -, |
b) | den Beschluss des Landgerichts Gießen vom 6. Mai 2010 - 1 StVK 932/09 K - |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Lübbe-Wolff
und die Richter Landau,
Huber
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juni 2010 - 3 Ws 540/10 - und der Beschluss des Landgerichts Gießen vom 6. Mai 2010 - 1 StVK 932/09 K -verletzen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, welche Bedeutung der Einhaltung der Überprüfungsfrist gemäß § 67e Abs. 2 StGB bei einer Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus von Verfassungs wegen zukommt.
1. a) Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts vom 14. Januar 2002, rechtskräftig seit dem 23. Mai 2002, wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung unter Einbeziehung einer durch das Urteil eines Amtsgerichts vom 20. November 2000 verhängten Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; zugleich wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Unterbringung wird seit dem 23. Mai 2002 vollzogen.
b) Mit Beschluss vom 6. Mai 2010 entschied die Strafvollstreckungskammer, dass die Unterbringung fortdauere und nicht zur Bewährung ausgesetzt werde, da keine entscheidungserhebliche Änderung der Umstände festzustellen sei und die negative Gefährlichkeitsprognose unverändert fortbestehe. Zu Beginn der Sachverhaltsdarstellung stellte die Strafvollstreckungskammer fest:
„Zuletzt hatte die Kammer am 17.10.2008 über die Fortdauer der Unterbringung entschieden.“
c) Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 24. Juni 2010 unter Bezugnahme auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer die Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer und des Oberlandesgerichts an. Er rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG sowie aus Art. 19 Abs. 4 GG. Er ist der Auffassung, die Strafvollstreckungskammer habe bei der angegriffenen Überprüfungsentscheidung die Jahresfrist nach § 67d, § 67e StGB grundlos überschritten. Zudem habe die Strafvollstreckungskammer den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt.
Das Justizministerium des Landes Hessen hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Dem Bundesverfassungsgericht hat das Vollstreckungsheft vorgelegen.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit der Beschwerdeführer eine grundlose Überschreitung der Überprüfungsfristen rügt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), und gibt ihr statt. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen; insoweit wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.
Nach den Maßstäben, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt sind, ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sie zur Entscheidung angenommen wird, zulässig und offensichtlich begründet (§ 93b, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. a) Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen wichtigen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>). Zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände jedoch auch eine freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung bestimmen. Das gilt entsprechend für die Unterbringung eines schuldunfähigen oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters, von dem zukünftig infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB (BVerfGE 70, 297 <307>).
Der Gesetzgeber hat im Hinblick auf das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Untergebrachten für die Vollstreckung dieser Maßregel besondere Regelungen getroffen, die deren Aussetzung zur Bewährung vorsehen, sobald verantwortet werden kann zu erproben, ob der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzuges keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird (§ 67d Abs. 2 StGB). Die Strafvollstreckungskammer kann die Aussetzungsreife der Maßregel jederzeit überprüfen; sie ist dazu jeweils spätestens vor Ablauf eines Jahres verpflichtet (§ 67e Abs. 1 und 2 StGB).
Die Vorschriften über die regelmäßige Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 2 und Abs. 6, § 67e StGB) dienen der Wahrung des Übermaßverbots bei der Beschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfGK 4, 176 <181>; 5, 67 <68>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Mai 2008 - 2 BvR 1615/07 -, juris; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. November 2011 - 2 BvR 1334/10 -, juris). Ihre Missachtung kann dieses Grundrecht verletzen, wenn es sich um eine nicht mehr vertretbare Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht handelt, die auf eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts schließen lässt (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; 72, 105 <114 f.>; 109, 133 <163>; BVerfGK 4, 176 <181>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. November 2011 - 2 BvR 1334/10 -, juris). Zwar führt nicht jede Verzögerung des Geschäftsablaufs in Unterbringungssachen, die zu einer Überschreitung der einschlägigen Fristvorgaben führt, automatisch auch zu einer Grundrechtsverletzung, weil es zu solchen Verzögerungen auch bei sorgfältiger Führung des Verfahrens kommen kann (BVerfGK 4, 176 <181>). Es muss jedoch sichergestellt sein, dass der Geschäftsgang der Kammer in der Verantwortung des Vorsitzenden oder des Berichterstatters eine Fristenkontrolle vorsieht, die die Vorbereitung einer rechtzeitigen Entscheidung vor Ablauf der Jahresfrist sicherstellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene in aller Regel persönlich anzuhören ist und dass auch für eine sachverständige Begutachtung ausreichend Zeit verbleibt, soweit die Kammer eine solche für erforderlich halten sollte. Die gesetzliche Entscheidungsfrist von einem Jahr seit der letzten Überprüfungsentscheidung lässt dafür ausreichend Raum (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. November 2011 - 2 BvR 1334/10 -, juris). Gründe für eine etwaige Fristüberschreitung sind zur verfahrensrechtlichen Absicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in der Fortdauerentscheidung darzulegen (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. November 2011 - 2 BvR 1334/10 -, juris).
b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen an Entscheidungen, welche die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen, werden die angegriffenen Beschlüsse nicht gerecht.
Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers ist nicht innerhalb der von § 67e Abs. 2 StGB vorgegebenen Überprüfungsfrist ergangen. Der Beschluss wurde nicht - wie gesetzlich angeordnet - spätestens am 17. Oktober 2009 (vgl. § 67e Abs. 4 StGB), sondern erst am 6. Mai 2010 gefasst.
Weder die Strafvollstreckungskammer noch das Oberlandesgericht haben die angesichts eines einjährigen Überprüfungszeitraums erhebliche Fristüberschreitung von nahezu sieben Monaten in ihren Entscheidungen begründet. Gründe oder sonstige Umstände, die auf eine fehlende Verantwortlichkeit der Gerichte für die Fristüberschreitung schließen lassen, können den Entscheidungen nicht entnommen werden. Zur verfahrensrechtlichen Absicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG wäre jedoch im Fortdauerbeschluss darzulegen gewesen, warum die Strafvollstreckungskammer die Überprüfungsfrist in diesem erheblichen Umfang überschreiten musste, um dem Rechtsmittelgericht wie dem Bundesverfassungsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob die Grundrechte des Beschwerdeführers im Rahmen des Überprüfungsverfahrens angemessen berücksichtigt worden sind.
Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer enthält insoweit keinerlei Feststellungen. Er geht auf die Frage der Fristüberschreitung gar nicht ein. Indem es lediglich auf die „zutreffenden Gründe“ der angegriffenen Entscheidung Bezug nimmt und die erhebliche Fristüberschreitung durch die Strafvollstreckungskammer hinnimmt, hat das Oberlandesgericht die Grundrechtsverletzung durch die Strafvollstreckungskammer weiter vertieft.
2. Es ist daher gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG festzustellen, dass die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG verletzt haben. Von der in § 95 Abs. 2 BVerfGG vorgesehenen Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen kann ausnahmsweise abgesehen werden, weil die festgestellte Grundrechtsverletzung den sachlichen Inhalt der angegriffenen Entscheidungen nicht berührt (vgl. BVerfGE 38, 32 <34>; 89, 381 <394>).
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.